Entwicklungsphasen des Hundes

Entwicklungsphasen des Hundes

Die wilden Vorfahren unseres Hundes lebten in einem Sozialverband, dem Rudel, das vom dem stärksten Tier geführt wurde. Das Leben in einer solchen Gemeinschaft fordert von jedem Einzelwesen, dass es sich in eine bestimmte Ordnung einfügt. Anders kann diese Lebensgemeinschaft nicht funktionieren. Daraus ergibt sich, dass die Jungtiere lernwillig und lernfähig sein müssen, um in das Rudel hineinzuwachsen. Der junge Hund durchläuft Entwicklungsabschnitte; zu bestimmten Zeiten ist eine bestimmte Lernbereitschaft und Lernfähigkeit gegeben. Zeitlich fallen diese Phasen mit der Lehrbereitschaft der Alttiere zusammen. Damit war für die Vorfahren unserer Hunde sichergestellt, dass die Junghunde zu vollwertigen Mitgliedern des Rudels heranwuchsen. Fragen der Dominanz, die im Canidenrudel auftraten, wurden zügig behoben, da die Grundlagen hierfür in der Sozialisierungs-, Rang- und Rudelordnungsphase im Spiel gelegt worden waren. Die im jungen Wolf oder Wildhund angelegten Entwicklungsphasen waren also lebensnotwendig, um den fortbestand der Meute zu sichern.
Verhaltensforscher haben sich mit der Entwicklung unserer Hunde befasst. Ihre wissenschaftlichen Erkenntnisse haben sie in verschiedenen Büchern und Artikeln veröffentlicht. Daher wissen wir, dass unsere heutigen Welpen, wie die Wölfe und Wildhunde die gleichen Entwicklungsphasen durchlaufen, obwohl wir Menschen die Hunde nach unseren Vorstellungen geformt und erheblich verändert haben.
Unseren Hunden fehlt z.B. der Kampf um die tägliche Existenz, den der Wildhund jeden Tag aufs Neue zu bestehen hatte und der komplizierte Entwicklungsabläufe in seiner Jugend erforderlich machte. Da diese Entwicklungsphasen in unseren Welpen erhalten geblieben sind, können wie die Lernfähigkeit unserer Hunde richtig einsetzen und die Anlagen des Jungtieres ausnutzen. Die Grunderziehung und die anschließende spätere Ausbildung werden für Hund und Hundebesitzer erleichtert. Das erste Lebensjahr des Hundes unterteilt sich in 7 Phasen. Die Zeitangaben dieser Abschnitte sind als Richtwerte zu sehen. Individuell und rassespezifisch sind Abweichungen möglich.

1. Neonatale Phase und 2. Übergangsphase (bis ca. 3 Wochen)
Nur ein Züchter hat die große Freude, die Entwicklung der Welpen von Geburt an mitzuerleben. Der Züchter umsorgt die Hündin und ihre Welpen. Als Nesthocker wird unser Hund mit geschlossenen Augen und Ohren geboren und kann noch nicht laufen. Nur der Tast- und der Geruchssinn und das Gefühl für Wärme sind schon ausgeprägt. Mit ihrer Hilfe und pendelnden Kopfbewegungen findet der Welpe die mütterliche Milchquelle, die er mit Hilfe des Milchtritts zur Produktion anregt. Die Natur hat es so eingerichtet, dass keine äußeren Einflüsse die Entwicklung des Welpen beeinträchtigen können. Saugen und Schlafen machen aus dem neugeborenen Welpen ein widerstandsfähiges, kräftiges Lebewesen, das seine Umwelt erkunden will. Es ist durchaus verständlich, dass Züchter in den ersten 3 bis 4 Wochen Besucher von den Welpen möglichst fernhalten, um diese Entwicklung zu unterstützen und sie vor Ansteckung zu bewahren. Mit 9 bis 10 Tagen öffnen sich die Augen, mit ca. 20 Tagen die Ohren; der Gleichgewichtssinn stabilisiert sich. 

3. Prägungsphase (ca. 4. bis 7. Woche) 
Der Tatendrang der Welpen nimmt durch die ihnen jetzt gegebene Bewegungsmöglichkeit ständig zu. Sie lernen außer der Muttermilch auch andere Nahrung kennen. Die Bezeichnung dieses Zeitabschnittes vermittelt schon einen Eindruck von der großen Bedeutung dieser Phase. Prägen heißt, dass in diesem zeitlich begrenzten Abschnitt Dinge für ein ganzes Leben gelernt werden müssen, die zu einem späteren Zeitpunkt gar nicht oder nur noch äußerst mangelhaft zu erlernen sind, z.B. gewissen Futtergewohnheiten. Für unseren Haushund ist in diesem Entwicklungsabschnitt die Prägung auf den Menschen von größter Wichtigkeit. Ein Welpe, der in dieser Zeit ausreichenden menschlichen Kontakt erhält, wird sich zu einem freundlichen, offenen und anpassungsfähigen Hund entwickeln. Fehlt dieser menschliche Kontakt, wird aus dem Welpen ein scheues Tier. Die Wichtigkeit dieser Prägungsphase zeigt auch, wie gefährdet Hunde aus Massenzuchten sind. Der Züchter muß dem Welpen in dieser Phase den Kontakt zu vielen verschiedenen Menschen, Erwachsenen wie Kindern, ermöglichen, damit er sie hören, sehen, vor allem aber auch fühlen und riechen kann. Durch das enge Zusammenleben mit den Menschen lernt der Welpe in dieser Zeit auf 

4. Sozialisierungsphase (ca. 8. bis 12. Woche) 
In dieser Zeit wechselt der Welpe üblicherweise vom Züchter zu seinem neuen Besitzer. Die Sozialisierungsphase ist die lernfähigste Zeit des Welpen. Eine neue Umgebung und neue Menschen werden sehr schnell akzeptiert. Der junge Hund lernt z.B. leicht, stubenrein zu werden. Beim Wildhund haben die Spiele in der Sozialisierungsphase sehr großen erzieherischen Charakter: Das Jungtier lernt, mit Artgenossen umzugehen. Auf Rudelgenossen wird Rücksicht genommen. Verbote werden akzeptiert. Der Welpe ist fähig, in dieser Zeit die ersten Anfänge der Unterordnung zu erlernen. Für einen erfahrenen Hundebesitzer ist die Übernahme des Welpens in der Sozialisierungsphase von großem Nutzen. Ein unerfahrener Hundehalter dagegen kann in dieser Zeit die schlimmsten Fehler machen und den Hund für sein Leben lang verderben. Der Hundebesitzer sollte seinen Welpe mit anderen Welpen zusammenführen. Welpenspieltage, die von Hundeschulen und Rassezucht- oder Hundesportvereinen organisiert werden, geben dem jungen Hund die Möglichkeit, Sozialverhalten im Umgang mit seinesgleichen zu erlernen. Der Besitzer sollte sich auf diesen Treffen zurückhalten und seinen Welpen nicht aus falsch verstandener Fürsorge zu sehr beeinflussen oder einengen. Aus den Rangeleien innerhalb der Welpenschar lernen die Kleinen im Spiel zu gewinnen und sich zu unterwerfen. Diese Erfahrung ist für den späteren korrekten Umgang erwachsener Hunde untereinander unerläßlich. Für uns als Hundebesitzer ergibt sich aus der großen Lernwilligkeit des jungen Hundes die erste grundlegende Erziehung. Der Welpe kann in dieser Zeit nahezu alles lernen, z.B. die Stubenreinheit, das Herankommen, Begrenzung und Freiheit. Das Lernen muss man ihm aber lustbetont und spielerisch vermitteln. Eine dressurhafte Erziehung ist absolut Fehl am Platz. Spielen mit dem Hund heißt zielgerecht spielen: Der Hundebesitzer bestimmt den Beginn, den Verlauf und das Ende des Spiels, zugeschnitten auf das Alter und die Lernbereitschaft seines Welpen. Die Fähigkeit des Welpen, in der Sozialisierungsphase bereits Verbote zu akzeptieren, kann der Hundebesitzer nutzen. Er sollte in dieser Zeit Tabus setzen, um dem Welpen deutlich klarzumachen, was er darf und was er nicht darf. Wenn sich der Welpe über ein Verbot hinwegsetzt, müssen die Einwirkungen angemessen sein, z.B. ein klares Wort oder auch mal ein kräftiger Stoß. Die Einwirkungen werden aber nur dann vom jungen Hund verstanden, wenn wir ihn bei Ungehorsam ertappen und unmittelbar innerhalb von 0,5-2 Sekunden eingreifen. Zeitlich verzögerte Einwirkungen kann er nicht zuordnen.

5. Rangordnungsphase (ca. 13. Woche bis Ende 4. Monat)
In dieser Zeit fallen die ärgsten und aggressivsten Auseinandersetzungen zwischen den Welpen eines Wurfes. Die meisten Jungtiere haben zu diesem Zeitpunkt den Züchter bereits verlassen so, dass die Zankereien zwischen den Geschwistern nicht besonders in Erscheinung treten. Der Hundebesitzer, der nun als Futterspender und Erzieher Elternfunktion übernimmt, hat in dieser Zeit noch keine Rangordnungsstreitereien zu erwarten. Auch ältere Hunde im Haushalt des neuen Besitzers werden von den Jungtieren zunächst als ranghöher angesehen. Amerikanische Terrier-Züchter konnten am Beispiel der Rangordnungsphase die zeitliche Begrenzung der Entwicklungsabschnitte nachweisen. Wurden die Junghunde während der Rangordnungsphase getrennt gehalten, konnte man sie nach dem 4. Monat wieder zusammenbringen, ohne dass Beißereien auftraten. Ließ man dagegen während der 13. bis 16. Woche mehr als drei Welpen zusammen, fanden heftige Rangordnungs-beißereien statt. Auch während der Rangordnungsphase besteht bei den Junghunden höchste Lernbereitschaft. Kontakt zu anderen Junghunden sollte weiterhin gegeben sein. Die Sozialisierungs- und die Rangordnungsphase sind besonders geeignet, dem jungen Hund auf spielerischer Basis die Grundlagen der Erziehung zu vermitteln. Dazu gehört u.a. zeitweises alleine bleiben, Tagesrhythmus, Gewöhnung an den Schlafplatz und Gehorsamsübungen, die immer noch spielerisch vermittelt werden müssen. Der Hundeführer muss aber den Unterschied zwischen menschlicher Auffassung von Spiel einerseits und den Gegebenheiten in einem Canidenrudel andererseits kennen und berücksichtigen. Hunde ahnden Regelverstöße konsequent, aber immer dem Alter des Junghundes angemessen. Dazu gehören strafender Blickkontakt, Kurren oder drohendes Schnappen nach dem Junghund. Dinge, die wir mit unserer Stimme oder einem Stoß in den Nacken nachahmen können. Die Erfahrungen, die Junghunde bis zur 16. Woche machen, sind besonders nachhaltig. Die ganze spätere Ausbildung, die sich an die Erziehung des Junghundes anschließt, baut auf den Grundlagen auf, die der Hundebesitzer in der Rangordnungsphase in seinem Hund verankert.

6. Rudelordnungsphase (ca. 5. und 6. Monat) 
Im Wildhundrudel beginnt eine ernsthafte Zusammenarbeit mit den Alttieren. Auch unsere Hunde sind in dieser Rudelordnungsphase besonders unterordnungsbereit. Es macht dem Hund Freude und gibt ihm Sicherheit, Mitglied einer Gemeinschaft zu sein und von ihr anerkannt zu werden. Jede Beschäftigung mit dem Hund, die dieses Gefühl unterstützt, stärkt das Selbstbewusstsein des Jungtieres und fördert die charakterliche Entwicklung. Wenn ein Hundeführer seinen Hund über die Erziehung hinaus ausbilden will, um später mit ihm Prüfungen ablegen zu können, so sollte er die natürliche Veranlagung, die in der Rudelordnungsphase gegeben ist, für die erste gemeinsame Arbeit ausnutzen. Der junge Hund hat z.B. sehr viel Freude an einer lustvollen Fährtenarbeit mit seinem Hundeführer – die Betonung liegt auf lustvoll. Wichtig ist, dass der Junghund bereits von Anfang an sein wichtigstes Organ, die Nase, einsetzt, um zu lernen, dass er mit ihrer Hilfe zu einem lohnenden Ziel findet, z.B. dem Futter oder seinem Lieblingsspielzeug.

7. Pubertät (ca. 7. bis 12. Monat) 
Mit der Pubertät beginnt eine sehr wichtige Zeit. Die in den Vormonaten gezeigte Unterordnungsbereitschaft scheint verloren gegangen zu sein. Unser Hund ist launenhaft und unausgeglichen, ähnlich wie ein junger Mensch im entsprechenden Alter. Der Hund befindet sich in einer sehr schwierigen Übergangszeit. Er ist kein Junghund mehr; er möchte erwachsen werden und strebt seinen Platz – einen möglichst hohen – im Rudel, seiner Familie, an. In diesem Lebensabschnitt sind bei selbstbewussten Hunden Machtkämpfe zu erwarten. Mit etwa 1 Jahr ist die Pubertät abgeschlossen und der Hund geschlechtsreif. Verhaltensweisen wie Wachsamkeit, Verteidigungsbereitschaft, Revieranspruch zeigen, dass der Hund erwachsen geworden ist. Der Hundebesitzer muss die Machtansprüche des selbstbewussten Junghundes sofort und konsequent abwehren. Die energischen Einwirkungen dürfen durchaus körperlich spürbar sein. Sie sollen ein für alle Mal die Machtverhältnisse im Rudel regeln und die Überlegenheit des menschlichen Rudelführers klarstellen. Hundeausbildung ist autoritär. Es gibt nur Ja oder Nein. Wechselhaftes Verhalten des Hundeführers verunsichert den Hund. Unser Hund wird sich der Autorität unterordnen und, wenn er seinen Platz im Rudel erkannt hat, zu einem sicheren Mitglied der gemeinsamen Meute Mensch/Hund werden.

Ich habe die 7 Phasen im ersten Lebensjahr unseres Hundes so ausführlich geschildert, um Ihnen zu erläutern, wie Sie Ihren jungen Hund stressfrei und mit Spaß erziehen und Fortschritte erzielen können. Nutzen Sie die Ausbildungsmöglichkeiten einer guten Hundeschule. Dort unterstützt Sie der fachkundige und erfahrene Ausbilder und gibt Ihnen die Möglichkeit, die Rolle des Rudelführers in dem gemischten Rudel Mensch/Hund zu übernehmen. Er zeigt Ihnen, wie Sie Ihren Hund motivieren können und wie das Jungtier willig und ohne Stress auf Ihre Erziehung eingeht und lernt. Ihr kleiner 

Hund wird sich freudig und schnell setzen, wenn er dafür z.B. ein Stückchen Wurst als Belohnung erhält. Entsprechend leicht, schnell und lustbetont lernt er „Platz“. Das Herankommen wird blitzschnell ausgeführt, wenn sie dafür ein herrliches Beutespiel mit einem Spielzeug folgen lassen. Auf das aufmerksame und freudige Fußgehen an Ihrer linken Seite kann dem Junghund mühelos vermittelt werden, wenn er für das korrekt gezeigte Verhalten belohnt wird. Der junge Hund lässt sich von Ihnen in eine positive Erwartungshaltung (Fachleute nennen das Triebstimmung) versetzen. Um zu der angestrebten Belohnung (seinem Triebziel) zu gelangen, führt er das verlangte Verhalten wie "Sitz", "Platz" oder z.B. "Hier" aus. Er hat ohne Stress gelernt, dass es sich lohnt, Ihren Kommandos zu gehorchen. Stress als Folge von Zwang blockiert beim Hund, wie auch bei uns Menschen, die Aufnahmefähigkeit und vermindert den Lernerfolg. Aber nicht nur Ihr kleiner Hund muss seinen Teil zu seiner Erziehung beitragen. Auch Sie sind gefordert, konsequent zu sein, immer die gleichen Hörzeichen zu geben und nur das korrekt gezeigte Verhalten zu belohnen und damit zu bestätigen. Sind Sie nachgiebig, inkonsequent und damit schwach, vermitteln Sie Ihrem Schützling kein klares Bild von dem, was Sie von Ihm erwarten. Er wird Ihre Autorität anzweifeln und das tun, was ihm angenehm erscheint. Spätestens in der Rudelordnungsphase oder während der Pubertät wird er sich in der Hierarchie vor Sie setzen. Im Kreise Gleichgesinnter in der Hundeschule wird Ihnen die Arbeit mit Ihrem Hund durch die erreichten Erfolge in der Erziehung Spaß machen. Sie lernen ihren Hund und seine Reaktion viel besser kennen. Die Verbindung zwischen Hund und Hundeführer vertieft sich durch die gemeinsame Arbeit, deren Ziel der sozial verträgliche und freudig arbeitende Hund ist. Er fügt sich gut in seine Umgebung ein, eine unabdingbare Forderung in unserer heutigen Welt, die Hunden oft kritisch gegenüber steht. Eine bestandene Begleithundprüfung (BH) bestätigt den im Hund gefestigten Grundgehorsam. Sie haben bei Ihrer Erziehungsarbeit einen ersten wichtigen Schritt geschafft. Schon mancher Hundebesitzer, der seinen Hund zunächst nur zum gehorsamen Familienhund erziehen wollte, hat soviel Spaß an der gemeinsamen Arbeit gefunden, dass er den Hundesport für sich als eine vielseitige zufrieden stellende Freizeitgestaltung ansieht.

Autor: Monika Saus 
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